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Deutschlands dienstälteste Phagenforscherin geht in Ruhestand

Phagenforscherin Dr. Christine Rohde berichtet im Interview über 38 Jahre Phagenforschung an der DSMZ in Braunschweig.

Phagenforscherin Dr. Christine Rohde 

berichtet im Interview über 38 Jahre Phagenforschung an der DSMZ in Braunschweig.

Nach 38 Jahren Tätigkeit als Kuratorin und seit 2016 Leiterin der Arbeitsgruppe Klinische Phagen und Gesetzliche Regulation am Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH verabschiedet sich Dr. Christine Rohde in den wohlverdienten Ruhestand. Die Mikrobiologin ist die dienstälteste Phagenforscherin in Deutschland. Die DSMZ verfügt über die weltweit vielfältigste Sammlung von Bakteriophagen und ermöglicht durch deren Bereitstellung internationale Forschungsprojekte, die einen Bereich unserer Medizin grundlegend verändern werden: die Bekämpfung bakterieller Infektionen. Die Sammlung von Phagen und auch die Forschung damit entstand aufgrund einer fast beiläufigen Idee von Christine Rohde vor 38 Jahren.

Christine Rohde studierte Mikrobiologie in Göttingen. Nach ihrem PostDoc in Australien fing sie im Juni 1986 an der damaligen DSM – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen in Göttingen an, wo sie für Plasmide und Bakterienstämme als Kuratorin verantwortlich war. „Da war von Phagen nicht die Rede. Ich hatte mir aber schon gedacht, irgendwie fehlen sie in der DSM“, berichtet Dr. Rohde im Interview mit der Stabsstelle Presse und Kommunikation des Instituts. Als sie dem damaligen DSM-Direktor Dr. Dieter Claus vorschlug, Phagen in die DSM-Sammlung aufzunehmen, befürwortete Doktor Claus diese Idee. Ab diesem Zeitpunkt begann Christine Rohde Phagen zu sammeln – den Start machten dabei Phagen für die universitäre Lehre. Es sollte noch 20 Jahre dauern, bis der medizinische Nutzen der Phagen von der wissenschaftlichen Community in der westlichen Welt allgemein anerkannt wurde.
 
Bakteriophagen – kurz Phagen – sind Viren, die Bakterien gezielt abtöten können. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Bakterienfresser“. Die Therapie mit Phagen kann eine Alternative oder wertvolle Ergänzung zur Antibiotikatherapie darstellen, um Infektionskrankheiten zielgerichtet zu bekämpfen, besonders bei multiresistenten Bakterien. Phagen kommen überall vor, wo ihre Wirtsbakterien leben, demzufolge auf unserem gesamten Planeten. Es gibt etwa zehnmal so viele Phagen wie Bakterien – daher sind Phagen die häufigste Daseinsform auf der Erde. Neben der Phagentherapie bei Mensch und Tier können Phagen gegen Krankheitserreger bei der Verarbeitung von Lebensmitteln angewendet werden. Darüber hinaus können sie auch als gezieltes Dekontaminationsmittel, als Probiotikum, für diagnostische Zwecke, zur Reinigung von Wasser oder in der Biotechnologie eingesetzt werden.
 
Als die DSM Ende der 1980er nach Braunschweig auf den heutigen Science Campus Braunschweig-Süd umzog, folgte Christine Rohde. Zusammen mit einer Handvoll Kolleginnen und Kollegen war sie an der Planung des damaligen DSM-Neubaus beteiligt. Ihre Mitarbeiterin Bettina Henze (Biologielaborantin) zog ebenfalls mit nach Braunschweig. Hier haben beide bis heute zusammengearbeitet. Christine Rohde war bis vor einigen Jahren nicht nur Phagensammlerin und -forscherin, sondern auch Gefahrgutbeauftragte an der DSMZ, weshalb sie 2002 vor der Weltgesundheitsorganisation über das Verpacken und Versenden von Mikroorganismen sprach. „Ich glaube, da war ich so aufgeregt wie niemals in meinem im Leben – bei der WHO etwas sagen zu dürfen, ist etwas Besonderes. Das Ziel war, Mikroorganismen so zu verpacken, wie Mediziner ihre „diagnostischen Proben“ verpackten. Und das ist gelungen.“ Im Jahr 2005 trat die Änderung in Kraft und ermöglichte einen unkomplizierteren und günstigeren Versand von Mikroorganismen, wodurch die globale Forschung profitierte. „In der WHO in Genf sitzen zu können und zu sagen, ‘es geht so nicht weiter‘ und dann noch gehört zu werden, das war schon richtig gut.“ Aber es war auch ein harter politischer Kampf. Und es war nicht der letzte für Dr. Rohde.
 
2006 wurde Dr. Hans-Peter Klenk Leiter der Abteilung Mikroorganismen und er war nach Aussagen von Christine Rohde ein großer Phagenfreund. Er wollte in jedem Falle die Phagenforschung fördern. Zur gleichen Zeit wurde die Bedeutung von Phagen auch in der west-europäischen wissenschaftlichen Gemeinschaft erkannt. Seit diesem Zeitpunkt fokussierte sich Rohde auf die medizinische Anwendung von Phagen. Im Jahr 2009 begann ihre internationale politische Arbeit für Phagen. Im Jahr 2012 kam Dr. Johannes Wittmann als phagenkundiger PostDoc an die DSMZ. „Ich freue mich über die Zusammenarbeit mit Johannes Wittmann“, macht Rohde deutlich. „Mit Johannes konnten wir die Phagenforschung ausbauen.“ Vier Jahre später wurde Dr. Wittmann Leiter der neuen Arbeitsgruppe Phagengenomik und -anwendung. Dieses duale Kuratorium im Bereich Phagen verdankt Christine Rohde dem Leibniz-Senat. „Der Wissenschaftliche Direktor der DSMZ, Prof. Dr. Jörg Overmann, hat das immer unterstützt und dadurch die Sammlung und Forschung im Phagenbereich zielgerichtet vorangetrieben. Er hat auch frühzeitig erkannt, dass die DSMZ im Bereich Phagensammlung und -forschung eines von vielen Alleinstellungsmerkmalen hat“, resümiert die Mikrobiologin. Heute führt die DSMZ eine der größten Phagensammlungen weltweit und ist auch international sehr anerkannt in der Phagenforschung.
 
In den letzten 10 Jahren konnte Dr. Rohde kontinuierlich Drittmittel für die Phagenforschung einwerben. Das Projekt Phage4Cure beispielsweise wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und führte unter anderem zu einer klinischen Studie an der Charité in Berlin. Das Projekt PhagoFlow wird vom Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert und zudem wurde in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) das Projekt EVREA-Phage gestartet. Durch die Tätigkeit mit dem TransPhage Network des DZIF ist für Christine Rohde ein Traum wahr geworden: die Fortschritte in der Phagenforschung ermöglichen allmählich ein Näherrücken einer dringend notwendigen Anpassung des Arzneimittelgesetzes, um künftig durch Phagentherapie vielen Menschen zu helfen. Rohde ist optimistisch, dass sich die Pharmazeutische Industrie nach dieser erhofften Änderung rasch an die innovative Therapieform anpassen wird.
 
„In der Zukunft möchte ich mehr im Hintergrund verfügbar sein und die Kontakte mit dem Kollegium der DSMZ und der ganzen Welt nicht abbrechen lassen. Meine Arbeitsgruppe an der DSMZ ist für mich irgendwie zu meiner zweiten Familie geworden.“ Zum Ende des Interviews möchte Christine Rohde jungen Forschenden auf den Weg geben, dass sie für ihre Ideen brennen und nicht zu schnell aufgeben sollen – es lohne sich. Ob über den Versand von biologischen Ressourcen oder über die Phagenforschung und den Einsatz dieser für die medizinische Anwendung – mit ihrem Einsatz konnte Christine Rohde die Welt der Forschung und Medizin ein klein wenig verändern. Dr. Christine Rohde hat Anfang Juli den ersten Schritt Richtung Ruhestand getan und übergibt ihre Aufgaben an Dr. Ana Filipa Moreira Martins.

Foto: oh/DSMZ