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Persönlichkeitstafeln für Oswald Berkhan und Helene Engelbrecht

Dr. Ulf Hilger (Abteilungsleiter Erinnerungskultur, Literatur und Musik im Fachbereich Kultur) und Stadtbezirksratsmitglieder 130 Mitte: Dr. Burkhard Plinke sowie Karin Allgeier, stellvertetende Bezirksbürgermeisterin.

Für zwei Braunschweiger Persönlichkeiten, die sich zeitlebens in großem Umfang sozial engagierten und wichtige Impulse für eine moderne Wohlfahrtspflege gaben, sind am 4. September zwei Persönlichkeitstafeln aufgestellt worden: für Oswald Berkhan an der Adresse Am Fallersleber Tore 9 und für Helene Engelbrecht am Bültenweg 58B/C.

Vertreter der Stadtverwaltung und Mitglieder des Stadtbezirksrats Mitte bzw. Nordstadt-Schunteraue nahmen daran teil.

Leben und Werk

Oswald Berkhan
Berkhan kam am 19.03.1834 als Sohn eines Lehrers in Blankenburg im Harz zur Welt. Nach dem Abitur begann er 1853 sein Studium am Collegium Carolinum in Braunschweig. Nach einjährigem Aufenthalt studierte er in den Folgejahren Medizin in Göttingen, Würzburg, Prag und Wien. Beeinflusst von der Lehre des Mediziners Rudolf Virchow promovierte er 1856 über die Behandlung von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung.
In der Folgezeit seines weiteren Lebens engagierte sich Berkhan für Menschen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen in besonderer Weise. Nach seiner Zeit als Assistenzarzt kehrte Berkhan 1860 nach Braunschweig zurück und arbeitete im sogenannten Alexiushaus, einer psychiatrischen Einrichtung in der Münzstraße. Er gründete 1868 gemeinsam mit der braunschweigischen Bankierstochter und Wohltäterin Luise Löbbecke und dem Pastor Gustav Stutzer eine psychatrische Anstalt in Erkerode, um zunächst Kindern, später auch Erwachsenen, mit einer geistigen Beeinträchtigung ein Zuhause und eine gezielte Förderung zu bieten.

Im Jahr 1879 setzte sich Berkhan zusammen mit dem Lehrer Heinrich Kielhorn bei Bürgermeister Wilhelm Pockels für eine Sonderschulklasse für Kinder mit geistiger Beeinträchtigung ein. Diese Klasse übernahm Kielhorn 1881. Nach diesem Vorbild entstand die erste Sonderschule in Braunschweig.
Zudem beschäftigte sich Berkhan mit Lese- und Rechtschreibstörungen bei Kindern. Im Jahr 1883 etablierte er Sprachheilkurse an öffentlichen Schulen im Herzogtum Braunschweig – die ersten ihrer Art in Deutschland. Berkhan ging erfolgreich gegen den Ausschluss blinder, taubstummer und psychisch erkrankter Kinder vom Schulunterricht vor. Ein Gesetz zur allgemeinen Erziehungspflicht ab dem siebten Lebensjahr trat in Braunschweig erstmalig 1894 in Kraft. Darüber hinaus rief Berkhan 1883 zur Gründung einer Klinik für Epilepsie bei Kindern auf, die finanziert von Luise Löbbecke als „Luisenstift“ 1908 eröffnete. In der Klinik war er als Direktor und beratender Arzt tätig.

Berkhan bekam 1908 den Ehrentitel als Geheimer Sanitätsrat des Herzogtums Braunschweig verliehen. Zwei Jahre später wurde er zum Ehrenmitglied des ärztlichen Vereins zu Braunschweig ernannt. Neben seinen medizinischen Forschungsinteressen bereiste er gerne den Mittelmeerraum und veröffentlichte naturwissenschaftliche Artikel in hiesigen Zeitschriften. Drei Jahrzehnte bis Anfang des 20. Jahrhunderts befanden sich der Wohnsitz und die Hausarztpraxis des Mediziners Oswald Berkhan an der Adresse Am Fallersleber Tore 9. Dann zog er an die Adresse Wendentorwall um, wo er 1917 im Alter von 82 Jahren starb.
Nach ihm ist die Oswald-Berkhan-Schule in Braunschweig benannt, die als ganztägige Förderschule Schwerpunkt Geistige Entwicklung zurzeit 274 Schülerinnen und Schüler unterrichtet.

Helene Engelbrecht

Helene Engelbrecht wurde am 18.11.1849 in eine alteingesessene Braunschweiger Familie hineingeboren. Nach der Grundschule besuchte sie eine private Mädchenschule. Sie sorgte für ihre jüngeren Geschwister und pflegte ihre Mutter Mathilde und ihren Vater Carl bis zu deren Tod. Nachdem der Vater 1877 verstorben war, zog sie unverheiratet zu ihrem Bruder Otto nach Bremen und kümmerte sich dort um die Erziehung seiner Kinder. Im Jahr 1890 kehrte Engelbrecht nach Braunschweig zurück und arbeitete bei der „Inneren Mission“ der Evangelischen Landeskirche. Regelmäßig besuchte sie auch junge, weibliche Strafgefangene im Gefängnis in Wolfenbüttel. Ab 1899 widmete sie sich als Oberin eines Wohnheims der Ottmer-Stiftung der Betreuung alleinstehender Frauen.

Bereits ein Jahr zuvor hatte Engelbrecht den Frauen-Hilfs-Verein „Elisabeth“ gegründet, der Notleidende jeglicher Konfession betreute. Als Vorsitzende kümmerte sie sich um die Ausbildung von Helferinnen in den Wohlfahrtseinrichtungen des Vereins. Zudem setzte sich Engelbrecht offen für die weibliche Gleichberechtigung ein. Sie richtete 1903 ein Amt für Auskunft, Arbeitsnachweis und Arbeitsvermittlung nur für Frauen ein. Ein Jahr später folgte eine Rechtsschutzstelle für Miet- und Arbeitsrechtsprobleme.
Der Elisabethverein unterhielt Zweigvereine, den „Fürsorgeverein für weibliche Gefangene“ sowie den „Kinderschutzverein“. Mit dem Fürsorgeverein sorgte Engelbrecht für die gesellschaftliche Wiedereingliederung ehemaliger Häftlinge. Nachdem der Freistaat Braunschweig die Resozialisierung 1919 übernahm, konzentrierte Engelbrecht ihre Arbeit auf das Heim des Kinderschutzvereins für verwaiste oder verwahrloste Minderjährige.

In dem unterdessen durch einen Neubau ersetzten Gebäude Bültenweg 58 B/C waren Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Fürsorgevereine untergebracht, in denen sich Helene Engelbrecht für weibliche Strafgefangene und schutzbedürftige Kinder engagierte. Bis zu ihrem Tod am 28.08.1927 war Engelbrecht Oberin des Wohnheims und setzte sich als Leiterin des „Elisabethvereins“ für benachteiligte und bedürftige Gruppen der Braunschweiger Gesellschaft ein.
Die Helene-Engelbrecht-Schule für Gesundheit, Pflege und Körperpflege in Braunschweig trägt in Würdigung dieser Verdienste ihren Namen. Derzeit besuchen ca. 1200 Schülerinnen und Schüler die Berufsbildende Schule.

Hintergrund

– Die Erinnerungstafeln sind prominenten Persönlichkeiten gewidmet, die einen engen Bezug zu Braunschweig aufweisen. Sie sind entweder in Braunschweig geboren oder haben einen wesentlichen Teil ihres Lebens hier verbracht. Mit ihrem Wirken haben sie die Stadt und die Region nachhaltig geprägt.

– Im gesamten Stadtgebiet werden durch die Stadt Braunschweig seit 2006 bedeutende Persönlichkeiten wieder in das Bewusstsein der Braunschweigerinnen und Braunschweiger und der auswärtigen Besucherinnen und Besucher gerückt. In der internationalen Kulturinformationsfarbe ‚braun‘ signalisieren die Tafeln, dass es darauf Wissenswertes zu Persönlichkeiten und zu Baudenkmalen zu entdecken gibt. Die Tafeln sollen Interesse wecken, sich näher mit Leben und Werk dieser früheren Nachbarn zu beschäftigen und auf diesem Weg mehr über die Geschichte Braunschweigs und der Menschen, die Teil dieser Geschichte sind, zu erfahren

– Im Internet sind die Texte der neuen Persönlichkeitstafel in deutscher und zehn weiteren Sprachen zu finden. Mehr Informationen unter: http://www.braunschweig.de/blik

Dr. Ulf Hilger (Abteilungsleiter Erinnerungskultur. Literatur und Musik im Fachbereich Kultur) mit Bezirksbürgermeisterin des StBezR 330 Nordstadt-Schunteraue, Carolin Borggrefe.

Fotos: oh/©Stadt Braunschweig