Das einzige in Europa als indigen anerkannte Volk bekommt mit Sámi Cinema – Stories from the North beim 38. Braunschweig International Film Festival besondere Aufmerksamkeit.
Derweil übernehmen die Vampire die Löwenstadt. Der europäische Schauspielpreis Die EUROPA geht an Udo Kier.
Auch wenn Halloween zum Start des Braunschweig International Film Festivals (11. bis 17. November) bereits einige Zeit zurückliegt, wird das Filmfest in diesem Jahr von Vampiren eingenommen. Dies wird bereits zum Auftakt deutlich: Gemeinsam mit dem Staatsorchester Braunschweig präsentiert das Filmfest BRAM STOKER’S DRACULA – LIVE IN CONCERT bei seiner Deutschlandpremiere. Gefördert wird das Eröffnungsfilmkonzert von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und zum ersten Mal unterstützt der Co-Hauptsponsor des Eröffnungsfilmkonzerts BS|ENERGY den Festivalauftakt. „Seit mehr als drei Jahrzehnten bereichert das Braunschweig International Film Festival das kulturelle Angebot unserer Stadt. Als Versorger in Braunschweig ist es uns wichtig, dass es den Menschen in der Stadt und in der Region gut geht. So ein bedeutsames Kulturereignis trägt dabei sehr zum Wohlbefinden bei“, erklärt Vorstandsmitglied Matthias Henze.
Thematisch an das Eröffnungsfilmkonzert anknüpfen wird die Filmreihe Vampires at Midnight. Seine für die Moderne prägende Form erhielt der Vampirmythos durch Bram Stokers Roman DRACULA (1897). Seither haben der untote Graf und seine filmischen Verwandten als Personifizierungen von Tod und Eros die Popkultur erobert und erleben aktuell eine Renaissance. So startet Anfang nächsten Jahres Robert Eggers‘ NOSFERATU-Neuverfilmung. Das BIFF zeigt unter anderem am Festivalfreitag das Original von 1922 in einem Stummfilmkonzert mit Orgelbegleitung und die Verfilmung von Werner Herzog auf der großen Leinwand. Ergänzt wird die Reihe durch Kurzfilme, darunter THE SON OF DRACULA (1960), ein 8mm-Frühwerk des italienischen Kultregisseurs Corrado Farina, das erstmals außerhalb Italiens auf einer Kinoleinwand gezeigt wird.
Ein Bösewicht mit großem Herz: Die EUROPA für Udo Kier
Der diesjährige Die EUROPA-Preisträger ist ebenfalls mit Vampiren engstens vertraut: Udo Kier spielte die Hauptrolle in ANDY WARHOLS DRACULA (1974) und verkörperte in SHADOW OF THE VAMPIRE den Filmarchitekten Albin Grau, eine Hommage an Murnaus Meisterwerk NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS. In diesem Jahr wird Kier mit dem Europäischen Schauspielpreis Die EUROPA, dem höchstdotierten Preis des Festivals, ausgezeichnet. Kier, der in mehr als 280 Film- und Fernsehproduktionen mitwirkte, arbeitete mit renommierten Größen des Independent- und Arthouse-Kinos. Mit Andy Warhol drehte er ANDY WARHOLS DRACULA, mit Rainer Werner Fassbinder DIE DRITTE GENERATION. Auch Filme von Christoph Schlingensief und Lars von Trier sind eng mit Kiers einzigartigen Rollen verknüpft. In Hollywood gilt er als Meister der markanten Nebenrollen und hat sich einen Stern auf dem Walk of Fame verdient.
Kier, der einst als Gastprofessor für Schauspieltheorie an der HBK Braunschweig tätig war, wurde mit seinen durchdringenden blau-grünen Augen zum Archetyp des Hollywood-Bösewichts. „Immer wieder verkörpert Udo Kier den Antagonisten so überzeugend, dass man kaum glauben kann, wie zuvorkommend und warmherzig er im wahren Leben ist“, so Co-Festivalleiterin Anke Hagenbüchner-Sobiech. Filmfestbesucher:innen haben die Möglichkeit, sich selbst davon ein Bild zu machen, wenn der gebürtige Kölner am Samstag, 16. November, zu einem Gespräch mit Journalist und Filmkritiker Daniel Kothenschulte einlädt. Außerdem wird es eine Auswahl von fünf Langfilmen sowie einem Kurzfilm des Die EUROPA-Preisträgers geben, darunter auch passend zum Anlass Lars von Triers EUROPA (1991).
Sámi Cinema – Stories from the North
Einen großen Fokus legt das Braunschweig International Film Festival in diesem Jahr auf ein Volk aus dem Norden Europas: Etwa 140.000 Sam:innen leben im Norden Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands, das einzige in Europa als indigen anerkannte Volk. Die Sonderreihe Sámi Cinema – Stories from the North erzählt ihre Geschichte, eine Geschichte der Diskriminierung und Enteignung, aber auch des Zusammenhalts und des Widerstandes und letzten Endes der Emanzipation aus der Mehrheitsgesellschaft. Welche Kämpfe sie teils bis heute ausfechten, kann in einer sehr eindringlichen Kuration aus 8 Langfilmen und 5 Kurzfilmen gesehen werden, die in Zusammenarbeit mit dem International Sámi Film Institute (ISFI) ausgewählt wurden – allesamt Filme von samischen Regisseur:innen. „Schon seit geraumer Zeit entdecken wir bei Festivals vermehrt Filme von samischen Filmemacher:innen und waren begeistert von der Kraft dieser Geschichten. So stießen wir auf das International Sámi Film Institute und freuen uns sehr, dass wir mit ihnen gemeinsam diese Sonderreihe kuratieren durften“, berichtet Co-Festivalleiterin Karina Gauerhof.
Das International Sámi Film Institute wurde 2009 im norwegischen Kautokeino gegründet und unterstützt samische Filmemacher:innen finanziell, bei der Produktion und dem Vertrieb ihrer Filme mit dem Ziel, eine nachhaltige und innovative samische Filmindustrie zu schaffen, die weltweit sichtbar und attraktiv ist. Sam:innen verstehen sich als ein Volk. Nationale Grenzen gibt es für sie nicht. Das Erzählen von Geschichten ist dabei schon immer ein Herzstück ihrer Kultur und war dabei ein wichtiger Weg, um Wissen und Werte weiterzugeben. Es dient als Mittel zur Vermittlung von Weisheit, kultureller Identität und der tiefen Verbundenheit mit der Natur. In ihren Geschichten kommen oft Figuren und Geister aus der Natur vor, was den Glauben der Sam:innen widerspiegelt, dass alle Elemente der Natur lebendig und miteinander verbunden sind. Mit THE TUNDRA WITHIN ME ist in diesem Jahr ein samischer Film im Hauptwettbewerb vertreten, gleichzeitig dürfen sich Filmfans mit PATHFINDER – DIE RACHE DES FÄHRTENSUCHERS auf das Prunkstück der samischen Filmkultur freuen, der erste auf Samisch gedrehte Film, der für einen Oscar nominiert wurde.
210 Filme, 61 Premieren und zahlreiche Sonderveranstaltungen
Insgesamt vergibt das 38. Braunschweig International Film Festival Preisgelder im Gesamtwert von 70.500 Euro. „Die Auswahl der Preisträgerinnen und Preisträger für die zehn Preise wird durch fachkundige Jurys durchgeführt, aber auch durch die wichtigsten Kritiker – dem Publikum in den Kinos. Hier werden Aspekte wie Nachhaltigkeit, Solidarität, Feminismus und Vielfalt in den Fokus gestellt. Hierfür bin ich besonders dankbar, denn auch die Volkswagen Financial Services stehen für die Werte Toleranz, Vielfalt und Internationalität ein“, schwärmt Anthony Bandmann, Vorstandsmitglied des Hauptsponsors Volkswagen Financial Services (VWFS). Der Finanzdienstleister aus Braunschweig ist nunmehr seit 28 Jahren Hauptsponsor. Die Preisverleihung findet am Samstag, den 16. November 2024, um 19:30 Uhr im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig statt. Durch den Abend führt die freie Hörfunkjournalistin Andrea Schwyzer, die u.a. für NDR Kultur tätig ist.
Neben 210 Filmen, darunter sechs Weltpremieren und 51 Deutschlandpremieren, bietet das Festival auch in diesem Jahr wieder ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm mit ausgewählten Sonderveranstaltungen. Ein Highlight ist der Diversity Salon am Dienstag, 12. November, der ab 20:00 Uhr im Aquarium des Kleinen Hauses (Staatstheater Braunschweig) an den Film AMAL anknüpft und sich mit Glaubensfragen auseinandersetzt. Unter dem Titel „Radikal religiös oder radikal losgelöst: Was glaubst DU denn??!“ thematisieren regionale und überregionale Impulsgebende die Wahrnehmung und Reflexion vorurteilsbeladener oder zulässiger Bilder rund um religiöse und areligiöse Zusammenhänge.
Weitere Sonderveranstaltungen widmen sich Themen wie dem zukünftigen Reisen, Künstlicher Intelligenz sowie sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsaspekten in der Filmbranche.
Auch für Studierende gibt es in diesem Jahr freudige Neuigkeiten: Das Kollaborativ ENCOURAGE Film Talents lädt in Kooperation mit dem Braunschweig International Film Festival (BIFF) zur ersten Ausgabe von ENCOURAGE Campus Connections ein. Das Team kuratiert und moderiert vier Veranstaltungen, in denen Studierende ihre Filme vorstellen und sich untereinander vernetzen können. Vertreten sind vier Hochschulen aus der Region: die Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig, die Hochschule Hannover, die Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Salzgitter sowie die Universität Hildesheim.
„All die fantastischen Filme, nationale und internationale Gäste sowie spannende Sonderveranstaltungen werden das Filmfest auch in diesem Jahr wieder zum kulturellen Höhepunkt unserer Stadt machen – da bin ich mir sicher“, blickt auch Thorsten Rinke, Vorsitzender des Filmfest-Vereins, voller Vorfreude voraus. Am Montag, den 28. Oktober, startet vor Ort und online um 15 Uhr der Vorverkauf für die Vorführungen und Veranstaltungen des 38. Braunschweig International Film Festival. Mehr Informationen und aktuelle Hinweise zum Festival gibt es auf www.filmfest-braunschweig.de, tagesaktuelle Hinweise auf den Social-Media-Kanälen des Festivals.
Weitere Informationen und Updates zum 38. BIFF unter:
www.filmfest-braunschweig.de
www.instagram.com/
www.facebook.de/
Foto: oh/© Sony Pictures