Der Braunschweiger Lichtparcours wird am Samstag, 15. Juni, eröffnet.
Die sechste Auflage wird die Stadt bis zum 6. Oktober entlang der Okerumflut erhellen. Der aktuelle Parcours steht im Zeichen der Nachhaltigkeit und der Ambivalenz von Licht. Im 21. Jahrhundert, mit all seinen Krisen und vor dem Hintergrund der Ressourcenknappheit, müsse auch mit Licht verantwortungsbewusst umgegangen werden, so Kulturdezernentin Prof. Dr. Anja Hesse, die schon jetzt die Vision einer weitestgehenden CO2-Neutralität für den nächsten Lichtparcours im Jahr 2028 formuliert.
Beim diesjährigen Lichtparcours hat der Aspekt der Nachhaltigkeit – insbesondere ein vorausschauender Umgang mit der Umwelt – direkt oder indirekt, in der Auseinandersetzung, Materialität oder der Energienutzung, Eingang in die Arbeiten gefunden. Außerdem stellt BS|ENERGY im Sinne des verantwortungsbewussten Umgangs mit Ressourcen in diesem Jahr erneut kostenlos Naturstrom für den Lichtparcours zur Verfügung und ermöglicht damit eine nachhaltige Ausstellung. Zudem engagiert sich das Unternehmen zusammen mit der Wilhelm Ewe GmbH & Co. KG als Sponsor für das Kunstobjekt „(Plastic) Full Moon“ des Kollektivs Luzinterruptus. Jens-Uwe Freitag, Vorstandsvorsitzender von BS|ENERGY, erklärt: „Der Ansatz, Kunstwerke nachhaltiger zu produzieren und Menschen für ein Kunstobjekt durch ,Mitmachen‘ zu begeistern, hat uns total überzeugt. Wir freuen uns sehr, das Event mit grünem Strom und als Sponsor dieses Lichtobjekts zu unterstützen. Damit unterstreichen wir zusammen mit unserem Gesellschafter Veolia unseren Anspruch, Vorreiter des ökologischen Wandels zu sein.“
Das besagte Werk „(Plastic) Full Moon“ ist eine sieben Meter große Mondkugel aus recyceltem Plastik, die im Kiryat-Tivon-Park zu sehen sein wird. Die benötigten Plastikteile wurde im Rahmen einer Sammelaktion von der Braunschweiger Bevölkerung gespendet und Ende Mai auf dem Gelände des Kunstvereins Braunschweig während eines öffentlichen Workshops am Gerüst des Mondes befestigt. Die Firma ALBA wird das Plastik nach Ende des Lichtparcours recyceln.
Die Kunstwerke:
Der thematische Schwerpunkt des Lichtparcours 2024 liegt in diesem Jahr auf der Ambivalenz des Lichts mit seinen vielfältigen, sicht- und unsichtbaren Effekten auf den Menschen und die Umwelt, sowie auch die Folgen der Nutzung seiner künstlichen Form. Diese greifen die Kunstschaffenden auf ihre ganz eigene Art und Weise in ihren Kunstwerken auf.
Mit Licht natürlichen Ursprungs assoziiert man meist Himmelskörper wie Sonne und Mond. Jacqueline Hen stellt mit ihrem Werk ONE’S SUNSET IS ANOTHER ONE’S SUNRISE eine große bronzene Sonnenscheibe dar. Diese strahlt nicht nur am Tag, sondern vor allem in der Nacht am Botanischen Garten und erzeugt so eine warme, behagliche Stimmung mit Raum zum Träumen von Parallelwelten, in denen die Sonne niemals aufhört zu scheinen.
Der mit Plastikmüll verkleidete (PLASTIC) FULL MOON dagegen hängt mit seiner kühlen Farbe und einschüchternden Größe über den Köpfen der Betrachtenden. Das Kollektiv Luzinterruptus wirft hiermit die dystopische Möglichkeit eines Himmelskörpers, der vollständig aus Abfällen besteht, in den Raum. Sie kritisieren die Konsum- und Wegwerfgesellschaft, welche verschmutzte Landschaften und riesige Müllberge verantwortet, und geben dem Plastikmüll als Mond beim Lichtparcours ein neues Leben.
Auch die TU Braunschweig und Jens Pecho bieten der Natur ein offenes Ohr. Die Oker-zierenden Quallen des Kunstwerkes WEST AUF NORDWEST, nach einer Idee von Alma Barwitzki vom Institut für architekturbezogene Kunst (IAK) der TU Braunschweig, weisen auf das Klima-geschuldete Ungleichgewicht der Ökosysteme in den Gewässern hin: Die Überfischung von Fressfeinden und verlängerte Fortpflanzungszeiten aufgrund der erhöhten Wassertemperatur führen zu einem Quallen-Boom in den Weltmeeren.
Jens Pechos GREAT TITS MOBBING PHALLIC LANDMARK beschreibt drei Kohlmeisen, die sich auf den Obelisken auf dem Löwenwall stürzen. Sie tragen einen Revierkampf mit dem Menschen aus, der große Flächen des ursprünglichen Lebensraums unbewohnbar für die kleinen Vögel gemacht hat. Der Künstler spielt hier mit verschiedenen Fachbegriffen und wirf einen humorvollen Blick auf das Vokabular menschengemachter Kategorien und Denksysteme.
Die Kontrolle der Natur fließt thematisch auch in Alona Rodehs SLOW SWAN SOCIAL CLUB ein. Die zwei Tretboot-Schwäne ziehen ihre starren Kreise auf dem Portikusteich im Bürgerpark, ohne sich zu treffen oder aus ihrer Bahn zu fallen. Die Künstlerin lehnt dabei an die Nutzung von Parkanlagen als kontrollierten Naturkonsum und die Romantisierung von diesen an.
Auch BETRETEN VERBOTEN, das zweite Werk des IAK, beschäftigt sich mit menschlicher Kontrolle über die Natur und der Kommerzialisierung dieser. Basierend auf der Idee von David Radivojevic suggeriert das Kunstwerk eine Privatisierung der Oker im Falle globaler Wasserverknappung.
Vor dem alten Bahnhofsgebäude am Friedrich-Wilhelm-Platz leuchtet ein traditionelles Luminarie der etwas anderen Art. Marinella Senatore verbindet hier süditalienische Tradition mit moderner Politikkritik zu bunten Torbögen. Sie schafft mit ASSEMBLY politischen Raum in der Öffentlichkeit und regt mit eingearbeiteten Wortelementen zum Fragen und Hinterfragen an und das ganz ohne den Kunstanspruch zu vernachlässigen.
HIT & RUN LOVERS ziert in roter Neonschrift die Rosentalbrücke. Eine Leuchttafel, wie man sie aus dem vergangenen Jahrhundert kennt. Die Künstlerin Monica Bonvicini spielt hier bewusst mit der visuellen Geschichte von Werbetafeln und Slogans, mit der Rolle der Architektur als Sozialprojekt und Kommunikationsmedium, weist auf die Fetischisierung von Konsum und Kultur hin und erzählt von der Flüchtigkeit und Schnelllebigkeit des Moments.
Auch Jan Philip Scheibe stellt rotes Licht in den Mittelpunkt seiner Arbeit, wie der Titel ROTLICHT erahnen lässt. Er arbeitet mit den Eindrücken der Schaufenster des Braunschweiger Rotlicht-Milieus in der Bruchstraße und stellt diese mithilfe von Acrylscheiben in verschiedenen Rottönen abstrahiert dar.
Ein weiteres Werk, welches stark atmosphärisch arbeitet, ist Christine Schulz‘ REFLEXION_REFLEXION. Hier hängen zwei Spiegelkugeln unter der Steintorbrücke, die zusammen mit reflektierenden Elementen am Ufer um die Wette strahlen. Hier entsteht ein Raum, der garantiert für magische Momente sorgt.
Šejla Kamerić wiederrum verwendet Kunst als Medium für Kritik. Ungeachtet der Sehnsucht nach einer Pause dreht sich die Welt unaufhaltsam, angetrieben von der Macht der Industrie. Das Werk TGIF – THANK GOD IT’S FRIDAY möchte die Beziehung zwischen dem Leben und der Industrie aufzeigen. Mit einer Kombination aus Dokumentarfilm, Lichtspiel und einer Untersuchung der Nebenprodukte der Stahlindustrie ist die Installation eine zum Nachdenken anregende Erkundung der Verflechtungen menschlichen Alltags mit der Welt der Industrie.
Auch Christian Holl möchte mit seinem Werk OBSERVER informieren. Die Installation erzeugt durch surreale Verfremdung des Ortes mittels monochrom rotem Flutlicht und außerirdisch wirkenden Architekturen eine veränderte Wahrnehmung der nächtlichen Parkanlage und ermöglicht die nicht-invasive Erkundung des innerstädtischen Lebensraums.
Im Bürgerpark hängen traubenförmige, ungewöhnlich leuchtende Ampeln. SWARM tauft sie die Künstlerin Bettina Pousttchi. Es entsteht eine Irritation in der Handlungsanweisung zwischen Go und Don’t Go. Viele Wege sind möglich. Die Skulpturenserie reiht sich ein in das Werk der Künstlerin, das sich mit den Ordnungssystemen des öffentlichen Raums beschäftigt und den unbewussten Wahrnehmungs- und Verhaltensmustern, die ihm zu Grunde liegen.
Darüber hinaus werden auch die permanenten Installationen zurückliegender Lichtparcours von Michael Sailstorfer, Yvonne Goulbier, Mark Dion, Fabrizio Plessi und Johannes Wohnseifer in den diesjährigen Parcours einbezogen.
Zusätzlich zu den Kunstwerken bietet der Lichtparcours auch ein umfangreiches kulturelles und touristisches Begleitprogramm mit Führungen, Lesungen, kreativen Workshops und vielem mehr. Die Kunstvermittlerin Franziska Pester hat Angebote für Klein und Groß konzipiert, die das umfangreiche Programm ergänzen. Es werden außerdem Führungen in fünf Sprachen angeboten. Die Stadt Braunschweig hat, um den kulturellen Austausch zu ermöglichen, Fördermittel für begleitenden Kulturprojekte im Umfang von 50.000 Euro für Kunstvereine und Kulturschaffende bereitgestellt, um Partizipationsmöglichkeiten rund um den Lichtparcours zu schaffen.
Für Pausen zwischendurch oder nach einer Lichtparcours-Tour haben die drei Torhäuser an der Okerumflut ihre Gärten geöffnet: Das Museum für Photographie, das Kunsthaus BBK und der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten bieten dort Möglichkeiten, bei kühlen Getränken zu verweilen und sich das jeweilige Veranstaltungsprogramm anzuschauen. Der Lichtparcours ist mehr als eine Kunstausstellung im öffentlichen Raum, er bietet Möglichkeiten für Zusammenkünfte sowie Orte zum Verweilen.
Das Programmheft mit Details zu den Kunstwerken und den Begleitveranstaltungen ist in der Touristinfo erhältlich oder abrufbar unter https://lichtparcours.de/program.html
Die diesjährigen Lichtkunstarbeiten können im Rahmen des Lichtparcours 2024 realisiert werden, weil es zahlreiche Sponsoren, Förderer und Partner gibt, die sich für den Lichtparcours bzw. die einzelnen Positionen engagieren.
Weitere Informationen unter: www.lichtparcours.de
Foto: oh/© Stadt Braunschweig / Daniela Nielsen